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"Du kommst hier nicht rein!"

Über Racial Profiling

Auch bei Einrichtungen, die für Sicherheit und Ordnung zuständig sind, kann es unbewusste rassistische Denk- und Handlungsweisen geben. Kontrollieren beispielsweise Sicherheitsdienste "People of Color" gehäuft oder verwehren ihnen überproportional oft den Zugang zu bestimmten Orten, spricht man von "Racial Profiling". Warum das für die Betroffenen besonders schlimm und warum die öffentliche Debatte darüber so erhitzt ist, erklären wir in diesem sechsten Beitrag unserer Reihe über Alltagsrassismus.

Ein Samstagabend im Sommer: Niklas, Johannes und Samir wollen etwas unternehmen. Die drei jungen Männer sind seit ihrer gemeinsamen Ausbildungszeit eng befreundet und haben zusammen schon viel erlebt. Niklas schlägt vor, endlich mal den neuen Club zu besuchen, der vor ein paar Wochen ganz in der Nähe eröffnet hat. Während Johannes sofort Feuer und Flamme für die Idee ist, zögert Samir. Nicht etwa, weil er Tanzen und Abhängen nicht mag – ganz im Gegenteil. Aber Samir hat schon oft erlebt, dass er an der Clubtür abgewiesen wird, während die anderen ohne Probleme reinkommen. Diesen Ärger will er sich und seinen Freunden lieber ersparen.

Szenenwechsel: Ben hat es auf dem Bahnhof eilig. Er kommt gerade vom Sport und ist am Abend mit seiner Freundin verabredet. Als er zum Bahnsteig sprintet, um seinen Zug noch zu bekommen, stoppen ihn zwei Sicherheitskräfte. Personenkontrolle. "Können wir bitte ihren Personalausweis sehen?" Ben ist verdutzt. "Was hab ich denn gemacht?" "Nichts", antworten seine Gegenüber, "das ist nur eine Routinekontrolle." Ben holt seinen Ausweis raus und kann nach ein paar Minuten wieder gehen. Seinen Zug hat er verpasst. Warum genau er kontrolliert wurde, weiß er nicht. Aber dass ihm das häufiger passiert als den meisten seiner Freunde, ist dem schwarzen jungen Mann nicht entgangen.

Rassistische Diskriminierung durch Sicherheitsdienste erleben People of Color in Deutschland jeden Tag. Und das nicht nur an der Clubtür oder auf dem Bahnsteig. Wenn ein junger türkeistämmiger Mann mit einem teuren Auto unterwegs ist und ohne bestimmten Anlass angehalten wird; wenn Schwarze Menschen auf dem Flughafen, im Zug oder bei einer Demo als Einzige kontrolliert werden; wenn der Kaufhausdetektiv ohne erkennbaren Grund das "asiatisch" aussehende Mädchen zur Taschenkontrolle bittet – in all diesen Fällen wird indirekt unterstellt, dass Menschen, die nicht der "weißen" Mehrheitsgesellschaft angehören, "Ärger" machen könnten. Viele "weiße" Menschen hingegen können sich nicht vorstellen, dass es Racial Profiling wirklich gibt und halten die Erfahrungsberichte von Betroffenen für übertrieben. Ist ja auch kein Wunder, wenn man selbst so gut wie nie kontrolliert oder vor der Clubtür stehen gelassen wird.

Racial Profiling und seine Folgen

Wie viele andere Begriffe aus dem Rassismuskontext wurde der Begriff "Racial Profiling" aus den USA nach Deutschland importiert. In den Vereinigten Staaten verwendet man den Begriff seit den 1990er Jahren um zu beschreiben, wie Polizist:innen Menschen (insbesondere Schwarze und "Latinos") nicht wegen eines bestimmten Verhaltens verdächtigen, sondern allein aufgrund ihres Aussehens oder ihrer angenommenen Herkunft. Da es in den allermeisten Ländern gesetzlich verboten ist, Menschen wegen äußerlicher Merkmale zu benachteiligen, gibt es Racial Profiling als "offizielle" Praxis natürlich nicht. Ganz im Gegenteil: Polizist:innen haben in Deutschland die Pflicht, alle Menschen gleich zu behandeln bzw. ihre Rechte gleich zu berücksichtigen. Wenn sie Kontrollen ohne konkreten Anlass durchführen, darf das also nicht nur bestimmte Personengruppen betreffen. Passiert das Gegenteil, dann werden Menschen unter Generalverdacht gestellt und kriminalisiert. Das kann zum Teil gravierende Konsequenzen für die Betroffenen haben.

Um sich die Folgen zu vergegenwärtigen, hilft – wie immer! – ein kleiner Perspektivenwechsel:

  • Wie nervig wäre es im Alltag für Dich, wenn Du im öffentlichen Raum ständig damit rechnen müsstest, kontrolliert zu werden und den Zug zu verpassen?
  • Wie würde es sich anfühlen, einfach so unter Verdacht gestellt zu werden, im Club oder der Disco Ärger zu machen, obwohl Du Dir noch nie etwas zuschulden hast kommen lassen?
  • Wie stark wird Dein Vertrauen in die staatlichen Organe und die Grundrechte beschädigt, wenn Du den Eindruck gewinnen musst, dass mit zweierlei Maß gemessen wird und für Dich nicht die Unschuldsvermutung gilt?

Racial Profiling schränkt "nicht-weiße" Menschen in ihren Freiheiten ein und vermittelt ihnen den Eindruck, kein gleichberechtigter und "gleichwertiger" Teil der Gesellschaft zu sein. Es kann dazu führen, dass People of Color den Druck verspüren, sich im öffentlichen Raum ganz besonders korrekt (oder besonders "deutsch") zu verhalten. Es kann dazu führen, dass sie sich nicht mehr trauen, sich in Notsituationen Hilfe zu rufen. Racial Profiling kann Menschen krank machen, weil sie sich im öffentlichen Raum nicht mehr sicher fühlen.

Mut zur Differenzierung

Wenn unser Text hier enden würde, könnte leicht der Eindruck entstehen, alle Sicherheitsorganisationen seien rassistisch – und es gibt in den aufgeheizten gesellschaftlichen Debatten heute auch Stimmen, die genau das unterstellen. Genauso wie es andersherum Stimmen gibt, die das Problem des Racial Profiling einfach leugnen und behaupten, es gebe keinen Rassismus bei den Sicherheitsbehörden. Um es unmissverständlich zu sagen: Wir halten keine der beiden Positionen für sinnvoll, um dem Alltagsrassismus wirksam zu begegnen. Mit pauschalen Unterstellungen, Ignoranz oder Bagatellisierung ist niemandem geholfen.

Als Feuerwehr wissen wir besonders gut, welche schwierigen Aufgaben Polizist:innen im Dienstalltag zu bewältigen haben und unter welchen Bedingungen Polizeiarbeit heute geleistet werden muss. Oft genug arbeiten Polizei und Feuerwehr im Einsatz schließlich zusammen. Uns ist daher klar: Natürlich handeln nicht alle Polizist:innen rassistisch. Das anzuerkennen heißt aber nicht, dass keine Kritik mehr geäußert werden darf. Die zahllosen Berichte Betroffener zeigen, dass Racial Profiling eine verbreitete Praxis ist – ob es den Polizist:innen als rassistisches Handeln bewusst ist oder nicht. Um dem zu begegnen, braucht es rassismussensible Perspektiven in der Ausbildung im Polizei- und Security-Bereich (wie übrigens auch bei den Feuerwehren), es bedarf unabhängiger Beschwerde- und Kontrollstellen, die betroffene Menschen nutzen können, und es bedarf einer wachsamen Zivilgesellschaft, die rassistische Diskriminierung im Namen der öffentlichen Sicherheit laut und deutlich kritisiert – ohne die Polizei dabei unter Generalverdacht zu stellen.

Was Du tun kannst

Racial Profiling liegen gesellschaftlich tief verankerte Vorurteile und Stereotype gegenüber "nicht-weißen" Menschen zugrunde. Erste Aufgabe von uns allen ist also, zum Abbau dieser Denkmuster beizutragen und die Mobilisierung rassistischer Klischees in keinem Alltagsbereich zu dulden. Darüber hinaus kannst Du folgendes tun:

  • Wenn Dir Betroffene von einem Racial Profiling-Vorfall berichten, höre ihnen zu und relativiere ihre Erfahrungen nicht ("Ich bin auch schon mal kontrolliert worden.").
  • Zeige Dich zum Beispiel bei Clubbesuchen solidarisch mit den Betroffenen und besuche einen anderen Ort, an dem nicht rassistisch selektiert wird.
  • Wenn sich Polizist:innen oder Mitarbeiter:innen von Security-Diensten gegenüber anderen Menschen rassistisch verhalten, bleibe vor allem ruhig und sachlich. Sprich nach dem Vorfall mit der betroffenen Person. Du kannst Dich zum Beispiel als Zeug:in anbieten und ein Gedächtnisprotokoll der Ereignisse schreiben.

Autor:innen

Denise Carver ist Fachgebietsleiterin für Jugendpolitik und Integration bei der Hessischen Jugendfeuerwehr und Mitglied im Fachausschuss Jugendpolitik & Integration der DJF
Karsten Gäbler engagiert sich bei der Thüringer Jugendfeuerwehr im Fachbereich Jugendpolitik und ist Mitglied im Fachausschuss Jugendpolitik & Integration der DJF