"Man wird doch wohl noch sagen dürfen"
Über Rassismus in unserer Sprache
Sprache kann rassistisch verletzen und menschenverachtende Denkmuster weitertragen. Warum es nicht egal ist, welche Wörter wir benutzen und wie wir mit neuen Bezeichnungen umgehen, erfahrt Ihr im ersten Teil unserer Reihe über Alltagsrassismus.
Neulich bei einer Familienfeier: Ein älteres Ehepaar berichtet von seinem Urlaub in Kenia. Der Mann, um die sechzig, benutzt genüsslich das Wort "N****", mit dem jahrhundertelang Schwarze Menschen bezeichnet wurden (wir werden es hier nicht noch einmal wiederholen). Als er von seiner Tochter endlich darauf hingewiesen wird, dass dieser Begriff extrem abwertend und rassistisch ist, platzt es aus ihm heraus: "Das werde ich doch wohl noch sagen dürfen! Außerdem ist ja keiner von denen hier."
Ortswechsel: Eine Freiwillige Feuerwehr, kurz nach einem Ausbildungsdienst. Ein paar Kameraden diskutieren beim Umziehen, flapsige Bemerkungen und Sprüche fallen. Auch das N-Wort, in Verbindung mit einem alten Kinderreim. Bloß mit dem Unterschied, dass sich eine Kameradin, die schon öfter Rassismuserfahrungen machen musste, sofort zu Wort meldet: "Hallo?! Muss das sein?" Augenrollen auf der anderen Seite. "Jetzt stell Dich doch nicht so an! War doch überhaupt nicht gegen Dich gerichtet!"
Neue Sprachgewohnheiten – alte Ängste
Situationen wie diese passieren täglich. Nicht nur in Diskussionen darüber, ob man Apotheken oder Straßenzüge mit rassistischen Namen umbenennen sollte, ob Schnitzel und Saucen herabwürdigende Gruppenbezeichnungen tragen dürfen oder ob man statt des umständlichen "People of Color" nicht einfach die alten Begriffe weiterverwenden kann. Sprachlicher Rassismus gehört zum Alltag. Das Muster ist dabei oft dasselbe. Jemand verwendet einen rassistischen Begriff (manchmal, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein), wird darauf hingewiesen und verharmlost alles oder beschwert sich über angebliche "Sprachverbote".
Hinter solchen Verhaltensweisen können Ignoranz oder Lust an der Provokation stecken. In vielen Fällen aber haben sie wohl eher etwas mit Unsicherheit und Angst zu tun. Manche Menschen haben das Gefühl, dass es immer wieder neue Regeln gibt, was man sagen darf und was nicht, und dass es zunehmend schwerer wird, bei all dem überhaupt noch mitzukommen. Diese Sorge ist ja irgendwie auch verständlich. Unsere Sprache wandelt sich und wird gerade – zum Glück! – an vielen Orten sensibler für rassistische und andere Diskriminierungen. Das bedeutet aber auch, dass die meisten von uns neu lernen müssen, wie man bestimmte Dinge anspricht und von welchen Bezeichnungen man besser Abstand nimmt. Dass es dabei keine gute Idee ist, rassistische Begriffe zu verharmlosen oder sich als "Opfer" der Political Correctness aufzuspielen, zeigt ein einfacher Perspektivenwechsel.
Warum Begriffe verletzen können
Das N-Wort hat einen kolonialen Hintergrund. Es wurde im 15. Jahrhundert von "weißen" Europäer:innen erfunden, um Schwarze Menschen zu kategorisieren bzw. in einer Hierarchie zu verorten. Das Wort ist untrennbar mit Unterdrückung, Versklavung und Entmenschlichung verbunden. Wer den Begriff heute verwendet, übernimmt damit – ob beabsichtigt oder nicht – die Perspektive der kolonialen Gewaltherrscher.
Wie fühlt es sich wohl für Schwarze Menschen an, mit der Nennung des N-Worts an die Geschichte kolonialer Gewalt und Herabwürdigung erinnert und damit jedes Mal aufs Neue abgewertet zu werden? Wie schwer kann dagegen eigentlich das Bedürfnis wiegen, bei den eigenen Sprechgewohnheiten zu bleiben? Um es unmissverständlich zu sagen: Es gibt keine "spaßigen" oder "nicht so gemeinten" Verwendungsweisen des N-Wortes! Genauso wie man das Z-Wort nicht verwenden kann, ohne Sinti:zze und Rom:nja (früher "Sinti und Roma" genannt) abzuwerten und sie an die Verfolgung und Ermordung ihrer Vorfahren im Nationalsozialismus zu erinnern.
Was Du tun kannst
Zugegeben, das N- und das Z-Wort sind ziemlich drastische Beispiele, bei denen heute glücklicherweise schon viele Menschen wissen, dass man die Begriffe nicht mehr verwenden sollte. Bei anderen Bezeichnungen aber, die nicht ganz so offensichtlich rassistisch sind, gibt es größere Unsicherheit und oft auch stärkere Diskussionen. Auch wenn es keine allgemeingültigen Regeln gibt, kannst Du mit ein paar Verhaltensweisen dazu beitragen, dass rassistische Diskriminierung und Entmenschlichung durch Sprache vermieden werden:
- Verzichte auf die Verwendung von als rassistisch erkannten Begriffen; auch dann, wenn gar keine Menschen anwesend sind, die dadurch entwürdigt werden könnten.
- Höre auf die Selbstbezeichnungen von Menschen, die Zielscheibe rassistischer Diskriminierung werden und frage im Zweifel einfach mal nach. Begriffe wie "Person of Color" oder "Schwarz" (geschrieben mit großem S) zeigen, dass Du Dich mit dem Thema auseinandersetzt und erkennst, dass Sprache diskriminierend wirken kann. Bedenke dabei aber auch, dass nicht jede:r Betroffene:r dieselben Erfahrungen gemacht hat und auch nicht zu jeder Zeit über dieses sensible Thema sprechen kann und möchte. Auch hier kann es helfen, einfach schon mal im Internet zu recherchieren und sich zu informieren.
- Bleibe offen für neue Begriffe und Bezeichnungen und scheue Dich nicht davor, Deine Unsicherheit zuzugeben. Niemand spricht eine perfekte, diskriminierungsfreie Sprache. Aber wenn wir beginnen, uns mit der Geschichte problematischer Begriffe auseinanderzusetzen und nach besseren Alternativen suchen, können wir uns diesem Ideal annähern.
- Wenn Du für das Verwenden eines rassistischen Begriffs kritisiert wirst, denke zuerst darüber nach und informiere Dich, bevor Du in Abwehrhaltung gehst und zurück kritisierst.
- Wenn in Deinem Umfeld rassistische Begriffe verwendet werden, sprich es freundlich, aber bestimmt an und zeige Dich solidarisch mit denjenigen, die durch diese Begriffe diskriminiert werden.
Autor:innen
Denise Carver ist Fachgebietsleiterin für Jugendpolitik und Integration bei der Hessischen Jugendfeuerwehr und Mitglied im Fachausschuss Jugendpolitik & Integration der DJF
Karsten Gäbler engagiert sich bei der Thüringer Jugendfeuerwehr im Fachbereich Jugendpolitik und ist Mitglied im Fachausschuss Jugendpolitik & Integration der DJF