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"Du kannst doch bestimmt schnell rennen"

Über Vorurteile, vermeintlich harmlose Komplimente und den alles andere als "positiven" Rassismus

Abwertung, Ausgrenzung und Benachteiligung zeigen sich nicht nur in rassistischen Pöbeleien und offener Ausgrenzung, sondern verstecken sich manchmal auch in gut gemeinten Annahmen und Komplimenten. Warum auch "positiver" Rassismus diskriminierend ist und in unserer Gesellschaft nichts verloren hat, darum geht es im fünften Teil unserer Reihe über Alltagsrassismus.

Eine Jugendfeuerwehr irgendwo in einer Kleinstadt. Es ist Frühsommer. Die Gruppe übt den Bundeswettbewerb, diesmal soll der Staffellauf zum ersten Mal geprobt werden. "Wer von euch will Läufer eins und zwei machen?" fragt der Jugendwart. Niemand meldet sich. „Wir brauchen jemanden, der schnell ist." Es meldet sich immer noch niemand. "Liam kann das doch machen, der ist bestimmt schnell", schlägt einer der Jugendlichen vor. Liam ist noch ziemlich neu in der Jugendfeuerwehr, der Vierzehnjährige ist erst vor ein paar Monaten mit seiner Familie in die Stadt gezogen. Ob Liam wirklich schnell rennen kann, wissen seine Kamerad:innen eigentlich gar nicht. Aber sie wissen, dass Liam einen Schwarzen Vater hat – und irgendwie sind Schwarze Menschen doch in der Regel sportlicher als "weiße". Oder nicht?

Situationen wie diese kommen nicht nur in der Jugendfeuerwehr vor. "Asiatisch" gelesenen Jugendlichen wird in der Schule häufig unterstellt, besonders gut in Mathematik und Naturwissenschaften zu sein oder ein klassisches Instrument spielen zu können. Schwarzen Menschen wird nicht selten ein gutes Rhythmusgefühl und ein besonderes Feeling für Musik angedichtet ("Du kannst bestimmt voll gut singen und tanzen!"). Dazu kommen als Kompliment gemeinte Anspielungen auf das Aussehen von People of Color ("Türkische Frauen haben so schöne Augen") oder eine besondere Freundlichkeit gegenüber "nicht-weißen" Menschen. Mit Rassismus soll das alles nichts zu tun haben, denn es steckt ja eine gute Absicht dahinter. Und damit sind wir mittendrin im Problem mit dem so genannten "positiven" Rassismus.

Rassismus, der niemals positiv sein kann

Rassismus beinhaltet, Menschen aufgrund bestimmter körperlicher Merkmale oder aufgrund einer Herkunft Eigenschaften zuzuschreiben und sie zu bewerten. Ob diese Bewertung negativ oder positiv ausfällt – das heißt ob ein Mensch für eine bestimmte Eigenschaft abgewertet oder gelobt wird – ändert erst einmal nichts daran, dass es sich bei solchen Bewertungen um rassistische Denkmuster handelt. Auch wenn es vielen "weißen" Menschen auf den ersten Blick schwerfällt, das zu verstehen: Rassismus hängt nicht von unseren guten oder schlechten Absichten ab! Auch vermeintliche Komplimente, positive Zuschreibungen oder sogar Bevorzugungen können verletzend sein und Menschen abwerten.

Um das besser nachzuvollziehen, kann man sich einfach mal in Liams Situation versetzen: Ob er ein guter Sportler ist oder nicht, hat nichts mit der Hautfarbe zu tun (das ist übrigens auch wissenschaftlich erwiesen: es gibt kein "Sport-Gen", das Schwarze Menschen besonders leistungsfähig macht). Es hängt vor allem davon ab, ob er viel trainiert und sich angestrengt hat. Wenn Liam beim Staffellauf nun besonders gut ist, dann ist das seine persönliche Leistung, für die er wie alle anderen Jugendlichen Anerkennung verdient. Im rassistischen Denkmuster aber hätte Liam gar keine besondere Leistung erbracht, wenn er schnell läuft – er hätte ja nur getan, was für Schwarze Menschen eben selbstverständlich ist. Sein Einsatz für das Team wird damit entwertet und er wird gerade nicht gleichbehandelt.

Das Grundproblem: Auch beim so genannten "positiven Rassismus" werden "nicht-weiße" Menschen nicht als Individuen mit jeweils besonderen Stärken und Schwächen wahrgenommen, sondern als Angehörige einer in sich geschlossenen Gruppe mit bestimmten Gruppeneigenschaften. Die rassistische Unterteilung in "Ihr" und "Wir" ("Othering") findet also auch hier statt und befördert bei den Betroffenen das Gefühl, "anders" zu sein und nicht wirklich dazuzugehören. "Positive" rassistische Klischees können bei "nicht-weißen" Menschen zudem den Druck erzeugen, bei etwas besonders gut zu sein oder sich für etwas besonders zu interessieren (Basketball spielen, Soul singen, Geige spielen …), das man vielleicht nicht mal richtig mag. Das kann bei manchen Menschen bis zur Verunsicherung führen, irgendwie "nicht richtig" zu sein, weil man die Erwartungen der "weißen" Mehrheitsgesellschaft nicht erfüllt.

Was Du tun kannst

Auch wenn sie sich auf positiv besetzte Dinge beziehen, sind rassistische Vorurteile vor allem eines – rassistisch. Deshalb sollten wir uns genauso dagegen einsetzen wie beim unverhohlen abwertenden Rassismus. Folgende Dinge kannst Du tun:

  • Achte darauf, rassistische Vorurteile nicht zu wiederholen, egal ob sie positiv oder negativ besetzt sind. Auch wenn sie auf gute Eigenschaften abzielen, verfestigen sie Klischees und das Denken in Schubladen ("Wir"-"Ihr").
  • Reflektiere, woher die Vorannahmen kommen, die Du über einen anderen Menschen hast und vermeide Gruppenzuschreibungen.
  • Benenne auch Fälle von "positivem" Rassismus in Deinem Umfeld als Rassismus und sprich mit den Beteiligten darüber, dass jegliche Form rassistischer Zuschreibung diskriminiert.
  • Vermeide es, unkommentiert von "positivem" Rassismus zu reden. Damit wird der Eindruck erweckt, dass es einen "bösen" Rassismus gibt, aber auch einen harmlosen oder "guten". Rassismus bleibt Rassismus, Punkt.

Autor:innen

Denise Carver ist Fachgebietsleiterin für Jugendpolitik und Integration bei der Hessischen Jugendfeuerwehr und Mitglied im Fachausschuss Jugendpolitik & Integration der DJF
Karsten Gäbler engagiert sich bei der Thüringer Jugendfeuerwehr im Fachbereich Jugendpolitik und ist Mitglied im Fachausschuss Jugendpolitik & Integration der DJF